Auf der "Thunderbolt", dem Flaggschiff einer Schwadron der interplanetaren Raumflotte
Admiral Bertoldo Durante glitt in seinen maßgeschneiderten, gepolsterten Stuhl und hielt den Blick auf die sanft schimmernden holografischen Bildwände, die sich in einem weiten Halbkreis um die Kommandobrücke des 800 Meter langen Flaggschiffs „Thunderbolt“ spannten. Die schiere Präzision und Masse der Technologie drückten, obwohl er sie seit Jahren kannte. Von den Fusionsreaktoren, die die Plasmadüsen speisten, bis zur bioorganischen Hülle, die das Schiff atmete und sich selbst regenerierte, wirkte alles wie eine lebendige, titanische Kreatur.
Gedämpftes Licht hüllte den Raum in kühle Blautöne, nur vereinzelte Monitore akzentuierten die Umgebung mit intensivem Smaragdgrün oder pulsierendem Gold. Die Farben markierten die sensiblen Sektoren der Waffensysteme und der Sensorik. Jeder Offizier saß vor anpassbaren Touchscreens, die Neuralinterfaces verbanden die Kommandobrückencrew eng mit den Kernsystemen des Schiffs. Die künstlichen Fenster der Brücke hielten programmierte Außenansichten bereit: glitzernde, bekannte Sterne, ferne, friedliche Planeten, die pechschwarze Unendlichkeit des interstellaren Raumes.
Die Kante des gepolsterten Stuhls drückte leicht gegen Bertoldo Durantes Rücken. Die Jahre lagen in seinen Knochen, seine Bewegungen folgten einer alten, tief in den Knochen sitzenden Ruhe, die jungen Kadetten oft als Gleichgültigkeit erschien. Sein Blick verharrte nicht auf den großen, beruhigenden Anzeigen der Fusionsreaktoren, sondern suchte das kleinste Dateneingabefeld an der Seite seiner Konsole: die Frequenz der selbstkorrigierenden Mikrorisse in der bioorganischen Hülle. Die gesamte Wahrheit über die Thunderbolt verbarg sich in solchen unauffälligen Splitterstücken. Die Pflicht, mehr zu erkennen als alle anderen, die schwere Last der Befehlsgewalt, forderte diesen unerbittlichen Blick auf das kleinste Detail.
Heute erlaubte er sich, die Ruhe auszukosten. Ruhe vor dem erwarteten Sturm, vielleicht vor einem Feuerwerk.
„Admiral, alle Systeme melden Normalbetrieb. Fusionsreaktor hält eine Effizienz von 97,3 %, die Schildsysteme zeigen Stabilität. Die bioorganischen Hüllen korrigieren selbstständig minimale Mikrorisse,“ meldete Commander Chen, seine Stimme klang wie gewohnt klar und unentbehrlich. Baiführte die Schwadron durch jede unvorhersehbare Laune des Alls, sein Verstand wirkte scharf wie ein Laser.
„Die Stimmung an Bord, Commander?“ Durante verzog den Mund, das Gefühl einer neckischen Freude stieg in ihm auf. Weihnachtszeit im All forderte eine besondere Art von Robustheit.
Baiquittierte die Frage mit einem knappen, schiefen Lächeln. „Die Crew fiebert der jährlichen Live-Kochveranstaltung entgegen. Kadett Miro stellte eine Spezialität seiner Heimatwelt in Aussicht. Die Moral zeigt sich gut, trotz der Enge und der Isolation.“
„Ich erhoffe mir nur, dass sich hinter der Spezialität kein interstellarer Auflauf aus leuchtenden Würmern verbirgt, keine widerlichen Kreationen,“ bemerkte der Admiral, seine Augen weiteten sich vor gespieltem Entsetzen.
Ein leichtes, entspanntes Gemurmel durchzog den Raum. Die Thunderbolt war nicht nur ein Kriegsschiff. Sie stellte ein eigenes Universum dar. Grüne Oasen von hydroponischen Gärten versorgten das Personal mit frischer Luft und Nahrung. Die Küchen hielten echte Kochgeräte bereit, und die Crew zelebrierte dort die kulturelle Vielfalt, trotz der Lichtjahre umfassenden Distanz zur Heimat.
Ein Signal schnitt durch die Routine, rot blinkten die Sensoren am Uniform-Board, der zentrale Warnhinweis zuckte über alle Bildschirme. Unbekanntes Objekt nähert sich in hoher Geschwindigkeit! Chens Stimme wirkte gespannt, aber sie hielt die Fassung. Kein Eintrag in unseren Datenbanken. Kurs unberechenbar, potenzielle Bedrohung.
Durante hob die Hand, eine Geste, die den folgenden Befehl vorwegnahm. „Kein Angriff. Alle Kampfverbände gehen in Alarmbereitschaft, Formation einnehmen. Feuer nur nach meinem expliziten Befehl.“
Das Schiff spannte sich an. Die Kommandobrückencrew bewegte sich koordiniert und schnell. Die Thunderbolt vibrierte leicht, fast wie ein nervöser Muskel, als die Plasmadüsen auf höchste Leistung fokussierten. Ein leichter, fast metallischer Geruch, eine Nuance von Ozon, verbreitete sich in der Luft. Die Schilde fuhren hoch, unsichtbare Energie pulsierte an der bioorganischen Hülle.
Durantes Blick fixierte den holografischen Projektor. Das fremde Schiff schwebte nun deutlicher sichtbar zwischen den Sternen. Eine metallisch-polierte, biomechanische Konstruktion, elegant und doch furchteinflößend. Licht spiegelte sich auf seiner Oberfläche, erzeugte seltsame, unregelmäßige Muster, die keine natürliche Ursache haben konnten. Das Schiff verriet keine Absicht. Die unberechenbare Eleganz des unbekannten Objekts fesselte Durante. Er spürte das Gewicht seiner Verantwortung, das dumpfe Drücken der Entscheidung, die er in den nächsten Sekunden treffen musste. Tausende Leben an Bord der Thunderbolt hingen von seiner Beurteilung dieses stählernen, fremden Schattens ab.
Er drehte den Kopf zu Chen. „Commander, die Sonde. Sofort. Keine Waffen, nur Sensoren und Kommunikationsgeräte. Maximale Präzision, ich will keine millimetrischen Abweichungen.“
Baineigte den Kopf, seine Augen fixierten die Konsole. Seine Finger tanzten über das Touchpad, die Bewegung wirkte minimal, die Steuerung der kleinen, wendigen Sonde verlangte jedoch höchste Konzentration. Eine klirrende Stille lag über der Brücke, das einzige Geräusch lieferte das tiefe, unterschwellige Brummen der hochgefahrenen Fusionsreaktoren. Durante beobachtete Chen, dessen absolute Professionalität ihn beruhigte.
Ein Signal zuckte über die Bildschirme. Sonde ausgeschleust.
Die Anspannung auf der Brücke wuchs. Während die Sonde die Distanz zum fremden Schiff überbrückte, bemerkte Durante eine flüchtige Bewegung abseits der Konsolen. Lieutenant Kael, der Sensoroffizier, wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Keine Angst strahlte er aus, nur die äußerste Anspannung, die die Verantwortung für die Frühwarnung verursachte.
Während die Sonde ihre Flugbahn durchlief, übertrug das interne Kommunikationssystem einen kurzen, fremden Ton auf die Brücke – ein Geräusch, das nicht in das militärische Setting passte. Ein kurzer, scharfer Schrei, der nach einem verschütteten Topf klang, gefolgt von einem hastigen, gedämpften Gemurmel. Das musste die Hauptküche sein, Miro am Werk. Das Bild der Crew, die in den grünen Oasen der Gärten lachte, die sich über duftende, hausgemachte Speisen hermachte, erschien in Durantes Kopf. Die Zerbrechlichkeit der menschlichen Gemeinschaft, die diese Thunderbolt umgab, die er mit seinen Waffen schützte.
Die Sonde verschmolz mit dem schimmernden, fremden Schiff, umkreiste es, die Sensoren aktivierten sich. Sekunden dehnten sich.
Plötzlich unterbrach die Funkmeldung von Lieutenant Kael die gespannte Stille. Eine Stimme, die fast wie ein Witz wirkte: „Admiral, wenn das hier zur Weihnachtsfeier wird, schlage ich vor, wir rüsten uns mit Keksen aus, statt mit Laserkanonen.“
Durante zog die Mundwinkel hoch. Humor im Angesicht der potenziellen Vernichtung lieferte ebenso viel Lebenskraft wie Sauerstoff. Er fixierte Kael, das Gefühl eines knappen, warmen Lächelns durchzog seine Gedanken.
Die Sonde sandte ein Signal zurück. Keine feindlichen Waffen, keine verräterischen Energieentladungen. Stattdessen empfing das Schiff eine komplexe, geometrische Musterfolge, die in sich harmonische, fraktale Strukturen aufwies. Es wirkte wie ein langsam pulsierendes, sich ständig neu ordnendes Gitter. Keine Warnung, keine militärische Codierung, nur eine Botschaft.
Die Augen des Admirals erfassten die sich ändernden Daten. Hoffnung zündete in ihm. Ein Funkeln, das die militärische Logik überwand.
„Commander Chen, Analyse der Musterfolge. Kael, vergleiche die geometrischen Signaturen mit bekannten Sprachen oder universellen Symbolen,“ befahl Durante. Die Pflicht trieb ihn, mehr zu wissen. Möglich, dass dies der erste Schritt zum Frieden ist. Das Wissen um seine Verantwortung drückte ihm die Schultern nieder, aber es verlangte keine Angst, es verlangte Weisheit.
Baipresste die Lippen zusammen. Seine Finger flogen über die Konsole, holten Algorithmen in den Vordergrund, die normalerweise für die Flugbahn-Vorhersage verwendet wurden. Sekunden später, die Spannung auf der Brücke verdichtete sich zu einem körperlichen Gefühl, hob Baiden Kopf.
„Admiral, das Muster ist nicht-linear, kein typischer Code. Aber die fraktalen Signaturen – sie wiederholen sich in einer Rhythmik, die keine Bedrohung darstellt. Es weist auf einen Versuch der Kontaktaufnahme hin.“
Lieutenant Kael unterstützte die Aussage. „Die Botschaft korrespondiert mit einem astronomischen Ereignis – einem Gamma-Ausbruch, den wir vor zwei Zyklen beobachteten. Es wirkt wie eine Art interstellare Markierung, vielleicht eine Begrüßung.“
Durante atmete innerlich aus. Die Hoffnung erlangte eine materielle Form. Das fremde Schiff, das bedrohliche Unbekannte, reduzierte seine Energieabstrahlung auf passive Beobachtung. Die Thunderbolt hatte keinen Grund, anzugreifen.
„Wir bleiben wachsam,“ tönte Durante durch das neuronale Netz. „Die Bedrohung ist nicht aktiv. Wir reagieren auf die Kontaktaufnahme. Chen, bereite eine einfache, nonverbale Botschaft vor. Eine elementare geometrische Form, etwas Universelles, Freundliches. Ein Kreis, ein Stern – etwas, das unsere Absicht bezeugt.“
Bainickte, seine frühere Anspannung löste sich in konzentrierter Arbeit.
„Ein Stern,“ befahl Durante schließlich. „Ein schlichter, weißer Stern, der langsam pulsiert. Wir senden die Botschaft mit minimaler Energie. Wir bleiben offen. Das hier ist die Weihnachtszeit – und manchmal geschieht ein Wunder.“
Die Thunderbolt atmete wieder langsamer. Das leichte Vibrieren, das die erhöhte Alarmbereitschaft kennzeichnete, verebbte. Die Schilde fuhren ein kleines Stück zurück.
Chen, der die Sendung des Stern-Musters überwachte, wandte sich zum Admiral. In seinen Augen spiegelte sich die Erleichterung, doch seine Stimme wirkte professionell. „Botschaft bestätigt gesendet, Admiral. Das fremde Schiff empfing das Signal. Keine Reaktion im negativen Sinne. Es hält seine Position, beobachtet uns. Der unmittelbare Konflikt löste sich.“
„Gut, Commander. Sehr gut.“ Die Last wich von Durantes Schultern. Das militärische Protokoll hatte er befolgt, aber die menschliche Entscheidung hatte er getroffen.
Baiverzog erneut das Gesicht. „Ein Ereignis dieser Art brachte uns nie zur Ruhe, Admiral. Und dieser Kadett Miro scheint tatsächlich Kochen zu verstehen, die Aromen ziehen schon bis hierher.“
Durante stand auf. Er musste die Brücke für den Moment verlassen, die Anwesenheit der Crew erforderte jetzt keinen Admiral im Kampfmodus mehr, sondern einen Menschen, der ihre Entscheidungen bestätigte.
„Ich schlage vor, Sie übernehmen das Kommando über die Brücke, Commander,“ sagte er. „Die Gefahr wich. Ich möchte die moralische Unterstützung der Mannschaft prüfen, vor allem die kulinarische.“
Er ging von seinem Stuhl weg, seine Beine trugen ihn mit einer neuen, leichten Federung. Während er die Rampe von der Kommandobrücke hinunterschritt, verließen seine Gedanken das kühle Blau und die geometrischen Muster des Erstkontakts. Er tauchte in die warme, menschliche Atmosphäre des Schiffes ein.
Er betrat den Gang, der zum Haupt-Messhall führte, die Gerüche von Ozon wichen dem Duft von geröstetem Gewürz und fermentiertem Brot. Die Gänge, normalerweise von eilenden Offizieren bevölkert, zeigten eine Mischung aus Uniformen, die sich in lockerer Konversation befanden.
Der Admiral gelangte zum hydroponischen Garten. Lichtdurchflutet, grün und warm, wirkte der Raum wie eine tropische Oase im Herzen des Kriegsschiffes. Von dort hörte er die Geräusche der Live-Kochveranstaltung, das Klatschen von Händen, das gedämpfte Lachen, die laute, stolze Stimme von Kadett Miro, der seine Heimatwelt-Spezialität präsentierte.
Bertoldo Durante trat in den Raum. Das Licht, das durch die grünen Pflanzen schien, milderte die scharfen Kanten seiner Uniform. Er sah, wie die Crew ihre Gesichter ihm zuwandte, ihre Augen zeigten Respekt, aber auch die Entspannung der vergangenen Stunden.
Miro, der junge Kadett, stand stolz vor einem Topf, dessen Inhalt intensiv roch. Seine Augen glänzten. „Admiral! Pünktlich zur Verkostung! Meine Spezialität von Tundras Dritter Welt – Gefüllter Schneefalter! Keine Würmer, versprochen!“
Durante lachte, das Geräusch klang überraschend warm in dem Raum.
Er hielt inne. Er sah die Offiziere und die Mannschaft, die eben noch auf den Knopf des Krieges starrte, nun in diesem grünen, duftenden Raum stand. Die Menschlichkeit, die sich in den kleinen Ritualen des Kochens und Teilens manifestierte, übertrumpfte jede technische Überlegenheit.
Die Weihnachtszeit auf einem Kriegsschiff war härter als jede Schlacht, weil sie die Sehnsucht nach Heimat und Frieden so unerträglich präsent machte. Aber sie war auch kostbarer. Und im Lachen eines jungen Kadetten, in der fachmännischen Nüchternheit seiner Offiziere, zeigte sich die zarte, unzerstörbare Menschlichkeit.
Während er einen kleinen, duftenden Bissen des Schneefalters probierte – der überraschend angenehm und herzhaft schmeckte –, wusste Bertoldo Durante: Dies war der wahre Kampf. Ein Kampf des Lebens, der Weisheit und vor allem der Hoffnung.
Leise, fast wie ein zarter Lichterglanz, schwebte der Geist von Weihnachten durch die riesige, bioorganische Hülle der Thunderbolt und darüber hinaus in die dunkle Unendlichkeit, in Richtung eines fremden, nunmehr schweigenden Schiffes.
Ein ungewöhnlicher, fragiler Frieden, geboren im Schatten des Krieges.
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