Merkur Orbitalstation
Metall drückte. Glas reflektierte kalt. Die Merkur-Orbitalstation. Ein karger Ort. Sigurn Norske stand am Eingang zu den hydroponischen Gärten. Der Kom-Kopfhörer in seinem Ohr knisterte. Er klopfte zweimal auf die Empfangsspule, dann senkte er den Arm. Eine leise, hartnäckige Fehlermeldung flackerte im Sichtfeld seiner Linse. Die automatische Bestätigung der Schichtübergabe aus Sektor Gamma blieb aus. Sein Nacken spannte sich an. Diese unaufhörlichen Lücken im Stationsprotokoll. Er drückte die Zunge gegen den Gaumen. Die Logistik der nächsten drei Wachwechsel musste stehen. Nichts durfte wackeln.
Aminah glitt fast schwerelos durch die engen Gänge. Die elektromagnetischen Felder begleiteten ihre Bewegungen. Ihre Füße boten kaum Widerstand. Sie federte durch den Raum. Das Knistern in Sigurns Ohr verstummte. Die Anspannung in seinen Schultern wich.
Ihre schillernde Haut funkelte im Licht. Quecksilberdampflampen pulsierten sanft in den kristallinen Wänden. Das klinische Licht tauchte Aminahs Funkeln in ein unwirkliches Weiß. **Sie überschritt die Schwelle des Gartens.**
Sigurn folgte ihr. **Feuchte, fast klebrige Wärme schlug ihm entgegen.** Der Geruch von Erde, nasser Humus und frisch geschnittenem Basilikum zog in seine Nasenlöcher. Er atmete tief durch. Sattgrün leuchteten die Pflanzen, eine Oase inmitten der kargen Technologie.
Aromatische Kräuter und Gemüse wuchsen dicht. Die feuchten Wege im Garten waren glatt geharkt. Die Pflanzen waren ihre Verbindung zurück zur Marskolonie. Sigurn ließ die kalten Zahlen der Protokolle los. Das Bild der Olivenbäume unter der irdischen Sonne zog durch seinen Kopf. Heimat. Eine scharfe, schmerzhafte Linie zog sich zwischen der kalten Weite des Alls und dieser erdigen Sehnsucht.
„Ich hoffe, du widmest mir heute Zeit für eine kleine Kostprobe, Kadettin.“ Sigurns Stimme drang warm durch die Stille. Ein Lächeln spannte seine Wangen. Er hob eine Augenbraue.
Aminah lachte. Sie strich eine Handvoll Basilikumblätter ab, hielt sie ihm hin. „Über Essen rede ich immer gern eine Runde.“
Sigurn nahm die Blätter. Herb-süßlicher Duft erfüllte seine Nasenlöcher. Bilder von mediterranen Märkten auf der Erde kehrten zurück. Sonne. Geräusche von Stimmen.
„Der Geschmack des Mars, frisch gepflückt.“ Er atmete ein. „Viel Zeit verbrachte ich damals auf der Erde im Mittelmeerraum.“ Sein Blick wanderte in die Ferne. „Dort begriff ich: Essen spricht Sprache, erzählt Geschichte und offenbart oft Liebe.“
Aminah neigte den Kopf. Ihr Lächeln verbreiterte sich. Sie schien seine Worte abzuwägen. „Meine Eltern und ihr Restaurant musst du unbedingt kennenlernen. Vielleicht finden wir einen kleinen Mars-Mittelmeer-Mix für die nächste Live-Kochveranstaltung auf der Station.“
Begeisterung durchzog Sigurn. Seine Knie kribbelten. „Das wird ein Fest für alle Sinne. Ich dachte nie, einen Ort im All fände man, der so lebendig ist wie dieser Garten hier.“
Sie schlenderten Seite an Seite durch die schmalen Wege. Minze, Ingwer und exotische Kräuter umgaben sie. Sanfte Lichter tanzten um sie herum. Ruhe. Ein privater Moment. Sie fanden ihr kleines Stück Verbindung.
Ein leises, konstantes Surren durchzog die Stille. Die Lebenserhaltung. Ein ferner, dumpfer Schlag erschütterte die Wände. Die Stille wich der Realität.
„Sag, Leutnant, wie schaffst du den Spagat zwischen all dem Militärischen und dem Hier draußen?“ Aminahs Stimme klang nachdenklich.
Ihre schillernde Haut funkelte heller. Ihre innere Zerrissenheit machte sich für Sigurn sichtbar.
„Manchmal frage ich mich, ob du auch von der Erde kommst, so menschlich wie du bist.“
Ein raues Lachen kam von Sigurn. „Ich kenne die Regeln. Ich lernte aber auch, sie mit Herz und Verstand brechen zu müssen, um zu bestehen. Und ja, ich verbrachte lange Zeit auf der Erde – zwischen Olivenbäumen und Sonnenuntergängen, bevor mich die Sternenflotte forderte.“
Ein Schatten legte sich über das helle Licht des Gartens. Sigurns Nackenhaare sträubten sich. Major Chidike Kamau stand am Eingang. Die goldene Litze seiner Stationsleitung glänzte im Quecksilberdampflicht. Seine Uniform saß tadellos. Er bewegte sich mit der selbstverständlichen Autorität eines Mannes, der jedes Protokoll auswendig kannte.
Kamau kam näher. Seine Blicke fixierten Aminah und Sigurn. Eine leichte Spannung zog sich über Kamaus Gesicht. Die Augen des Majors wirkten wie gehärtetes Glas.
„Leutnant Norske“, Kamaus Stimme war höflich, aber scharf wie ein Laser. „Ich höre hier von einer ‚Live-Kochveranstaltung‘. Ungeplante Versammlungen widersprechen den aktuellen Sicherheits- und Morale-Protokollen der Stationsleitung, die ich vertrete. Die Merkur-Orbitalstation bewältigt eine erhöhte Alarmbereitschaft wegen der Unruhen am äußeren Ring.“
Kamau fixierte Aminah mit einem neutralen, tief eindringenden Blick. Er machte seine Ablehnung mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung des Kopfes deutlich.
„Major, wir planen lediglich eine kleine Übung zur Verbesserung der ‚Ernährungspsychologie und Morale-Aufrechterhaltung‘ der Kadetten.“ Sigurns Stimme blieb fest. Er ließ keine Schwäche erkennen.
Kamau zog eine Augenbraue hoch. „Ich sehe Basilikum, Leutnant. Ich sehe keine Morale-Aufrechterhaltung. Wir brauchen in dieser Phase keinen ‚Mars-Mittelmeer-Mix‘. Der Aufwand widerspricht den Effizienzrichtlinien. Die Veranstaltung findet keinen Platz im Zeitplan.“ Kamau drehte sich abrupt. „Ich erwarte eine schriftliche Bestätigung über die Einstellung dieses... kulinarischen Experiments bis zum nächsten Wachwechsel.“
Der Schatten zog sich zurück. Kalte Verbundstoffwände umgaben sie wieder.
Sigurn stieß Luft aus. Ein metallischer Geschmack lag plötzlich in seinem Mund. Die Herausforderung stand.
Aminah und Sigurn standen in einem engen, verglasten Besprechungsraum in der Nähe des Navigationszentrums. Draußen flimmerte der Merkur. Ein glühender, rot-oranger Schemen. Er beleuchtete die metallischen Wände des Raumes in feurigen Tönen. Die Isolation atmete.
„Er hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht.“ Aminahs Stimme klang rau. Ihre Finger strichen über die Rille des Tisches. „Kamau sucht nach Problemen. Er findet die Idee eines ‚Fests für die Sinne‘ unprofessionell. Er findet uns unprofessionell.“
Sigurn lehnte sich zurück. Sein Blick folgte dem Rot auf dem Glas. „Kamau kennt die Regeln. Er wendet sie an. Er will unser Fest scheitern sehen. Ein Neid auf das Menschliche.“
„Er ist eifersüchtig auf unsere Nähe. Auf die Art, wie wir uns verstanden. Ein Mann der reinen Zahlen und Protokolle.“
Sigurn nickte. Aminah erfasste die Situation richtig. „Ich kenne die Regeln. Ich sagte es dir: Man muss sie mit Herz und Verstand brechen. Kamau kontrolliert die Protokolle. Das Bedürfnis der Crew nach Menschlichkeit kontrolliert er nicht. Wir liefern ihm, was er verlangt: Ein ‚Morale-Update‘, das in seinen Richtlinien Platz findet.“
„Wie?“
„Wir taufen das Event um. Es wird kein ‚Mars-Mittelmeer-Mix‘. Es wird der ‚Ernährungspsychologische Advents-Stresstest (EPAS)‘. Das Kochen dient als ‚aktive Stressbewältigungsmethode unter Zeitdruck‘. Die Aromen dienen als ‚Geruchsanalyse zur Optimierung des Wohlbefindens‘. Das Essen dient zur ‚Effizienzsteigerung durch verbesserte Nährstoffaufnahme‘. Ich schreibe das Protokoll jetzt. Kamau kann das nicht ablehnen. Es unterstützt seine eigenen Richtlinien zur Effizienz.“
Ein Kribbeln durchzog Sigurn. Aminahs schillernde Haut glühte leicht in freudiger Erregung. Er brach die Regeln, indem er sie übererfüllte.
„Der Geschmack des Mars soll also die Moral retten?“ Aminah lächelte.
„Der Geschmack der Heimat rettet Seelen, Leutnant. Nicht nur die von Marsianern.“ Sigurns Blick traf den ihren. Ein weicher, warmer Zug ging über sein Gesicht. Er kniff die Augen zusammen. Die basilischen Erinnerungen zogen ihn zurück.
„Auf der Erde saß ich manchmal unter Olivenbäumen. Der Geruch der Erde, das Salz des Meeres – das war die reinste Sprache. Die Liebe eines Ortes, eines Gerichts. Das fehlt hier draußen. Wir ersetzen das nicht mit Verbundstoff.“ Sigurn fuhr sich über den linken Fuß. Eine kurze, fast ungeschickte Bewegung.
Aminahs Aufmerksamkeit legte sich auf seinen Fuß. Die leichte Anspannung in seiner Bewegung entging ihr nicht.
„Du hast immer die Kontrolle, nicht wahr?“ bemerkte Aminah schmunzelnd. „Aber ich hörte, du wirst manchmal bei alldem Druck auch unsicher – besonders wenn es um Umkleiden geht.“
Sigurn merkte, wie seine Ohren heiß wurden. Dann brach er in ein ehrliches Lachen aus. Er hob den Fuß kurz an, ließ ihn zucken. Die Verletzlichkeit zeigte sich. „Du erwischt mich. Ein kleiner persönlicher Makel – ein sechster Zeh am linken Fuß. Mein Können hat er nie beeinträchtigt, in manchen Situationen auf der Flotte bot er weniger Hilfe.“
Aminah lachte herzlich. „Wenigstens bist du einzigartig – ich bringe ja auch immer meine Alraune als Glücksbringer mit.“
Sie zog einen kleinen, grünen Kristall aus der Tasche. Geheimnisvolles Schimmern ging vom Stein aus.
„Das perfekte Duo. Mit Glück und einzigartigen Merkmalen überlebt man alles, sogar interstellare Krisen.“
Sie verbrachten den Nachmittag mit dem Ernten der Kräuter. Die Düfte von Ingwer und Minze füllten den Raum. Sigurn diktierte das EPAS-Protokoll. Aminah sammelte die Provenzalischen Zutaten. Sie erzählte von ihrem Ziel, die beste Navigatorin zu werden. Neue Welten sollten sich ihr öffnen. Sigurn fand sich in ihrer Begeisterung wieder.
Der Glockenton drang durch den Stationseingang. Ein technisches Signal zeigte die beginnende Adventszeit an. Die Station bereitete sich vor.
Die Stationsküche strahlte in feierlichem Licht. Adventsdekorationen erwachten zum Leben. Ein Geruch von gebackenem Brot, Zimt und exotischen Gewürzen hing in der Luft. Die Festlichkeit füllte die harte Welt mit Wärme. Sigurn atmete tief ein.
Dampfende Töpfe. Knisternde Leuchten. Lachende Gesichter der Crew. Das EPAS-Event lief.
Aminah dirigierte die anderen Kadetten. Sie gaben ihr Bestes, den Provenzalischen Sauce-Mix fehlerfrei zuzubereiten. Sie bewegte sich in ihrem Element. Die Navigation in den engen Küchenzeilen gelang ihr mühelos.
Sigurn schnappte sich eine Schüssel Sauce, die ein Kadett vorbereitet hatte. Er roch daran. Der Duft von Olivenöl und Tomaten. Seine Augen schlossen sich kurz. Der Geschmack sprach die Sprache der Erde.
„Falls ich jemals kapitulieren sollte“, Sigurn verkündete mit gespieltem Ernst, „dann nur vor einem Teller so guten Essens.“
Aminah stolperte fast vor Lachen. „Und das hier wird dein Untergang, Leutnant!“
Eine dunkle Präsenz legte sich über die festliche Szene. Sigurn spürte den kalten Windzug von der Tür. Major Kamau stand an der Schwelle, die Arme verschränkt. Sein Blick scannte den Raum, suchte nach einem Verstoß.
„Leutnant Norske. Der Ernährungspsychologische Advents-Stresstest“, Kamaus Stimme war trocken. „Die Geruchsintensität überschreitet die zugelassenen Grenzwerte für biologische Kontamination, wie im Protokoll 4.2.3 festgelegt.“
Sigurn drehte sich langsam um. Er hielt die dampfende Schüssel wie einen Schild in den Händen. Er sah Kamau direkt an.
„Major“, Sigurns Stimme war ruhig, seine Haltung aufrecht. „Wir befinden uns im Modus der aktiven Stressreduktion. Die hohe Geruchsintensität stimuliert die Alpha-Wellen der Kadetten, ein notwendiger Nebeneffekt. Die Kontamination bleibt unter 0,01 Prozent. Wir folgen dem Protokoll, wir erfüllen es mit Herz und Verstand. Die Kadetten arbeiten effektiver. Dies sind die Ergebnisse unseres Tests.“ Er deutete auf die Crew. Freude und Konzentration lag in ihren Gesichtern.
Kamau verharrte. Er suchte nach einer Lücke. Er fand sie nicht. Sigurns Protokoll schloss seine eigenen Argumente ein. Der Major presste die Lippen zusammen. Kalte, scharfe Urteile blitzten in seinem Blick. Kamau drehte sich um. Er verließ den Raum. Die Geräusche seiner Schritte verhallten in der Stille des Ganges. Der kalte Schatten löste sich auf.
Die Menge jubelte leise. Sigurns Herz gewann den Kampf gegen die militärische Strenge. Das Fest begann. Die Provenzalische Sauce, der Mars-Mittelmeer-Mix, schmeckte nach Triumph.
Später funkelte die Sternenschar über der Orbitalstation. Sigurn und Aminah standen zusammen am künstlichen Fenster. Der glühende Merkur war unter ihnen in die Weite des Alls abgetaucht.
Ein zartes, intensives Berühren der Hände. Spröde wie der Klang einer fremden Melodie. Vertraut. Sigurns Hand schloss sich langsam um ihre.
„Wir sollten uns öfter finden,“ flüsterte Sigurn.
Aminahs Lippen hoben sich leicht. Ihre Augen hielten seinen Blick fest, die Pupillen weiteten sich kaum merklich. Etwas Leichtes, eine Wärme, breitete sich in Sigurns Brust aus. Das Gefühl drückte ihn sanft nach vorne. Diese ferne, glühende Scheibe des Merkur unter ihnen. Er dachte an die Olivenbäume. An die Erde. Hier draußen, in dieser kalten Hülle aus Metall und Glas, griff ihn ein Gefühl. Die Hoffnung schmeckte plötzlich nach Salz und Wein. Eine Zukunft, die er nicht in Protokollen plante, sondern in ihren Händen hielt. Er drückte leicht ihre Finger. Die Verbindung wog schwerer als alle Logistik.
Die Adventsglocken klangen fern. Ein technisches Läuten, aber in Sigurns Ohr sang es sanft und unaufhörlich. Er blickte auf die Sterne, dann auf ihr Gesicht, das im Scheinen der Station lag. Ein neues Morgen. Es begann jetzt.
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