Freitag, 19. Dezember 2025

19. Dezember 3528: Mehlstaub über dem roten Planeten

 Mars-Akademie für Wissenschaft und Militär


Mehlstaub wirbelte in der warmen Luft auf und legte sich als weißer Film auf Vanessas Unterarme. Mit rhythmischen Bewegungen drückte sie die Handballen in den elastischen Hefeteig, bis die Masse unter ihrem Gewicht nachgab. Der Duft von frischer Hefe vermischte sich in dieser frühen Morgenstunde mit dem metallischen Aroma der aufbereiteten Mars-Luft. Das Summen des Rührarms bildete einen steten Takt, während sie den Teig für die morgigen Adventspäckchen zu einer glatten Kugel formte.

Ein leises Scharren an der Türschwelle unterbrach ihren Arbeitsfluss. Kadett Sato stand im Rahmen des Sekretariats, die Schultern hochgezogen. Sein Blick haftete auf der rechten Hand, die krampfhaft ein zerknittertes Datenpad umklammerte. Ein schmaler, roter Faden zog sich über seinen Daumenballen und tropfte auf das gläserne Gehäuse des Geräts. „Die Simulation“, murmelte er. „Die Frequenzen der Uranus-Sonde ergeben einfach keinen Sinn.“

Vanessa wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab. Sie griff in die Schublade unter der Arbeitsplatte, förderte ein kleines, eingeschweißtes Päckchen hervor und trat auf den jungen Mann zu. „Zuerst kleben wir das hier auf den Riss an Ihrem Daumen, Sato, damit das Blut die Konsole verschont“, sagte sie mit ruhiger Stimme. Während sie das Pflaster festdrückte, blickte sie ihm fest in die Augen. „Wissen Sie, mein Onkel war Klempner in den alten Kuppeln von Neu-Berlin. Der hat einmal drei Tage lang versucht, ein Leck zu finden, nur um am Ende festzustellen, dass eine kleine Mars-Spinne ihr Netz direkt vor dem Sensor gewebt hatte. Er hat das ganze Viertel verrückt gemacht mit seinen Theorien über Sabotage, dabei brauchte er nur einen Besen.“

Sato blinzelte, ein zaghaftes Lächeln stieg in seine Augen. Vanessa reichte ihm ein noch warmes Randstück eines Testgebäcks vom Blech. „Essen Sie das. Mit leerem Magen sieht jede Frequenz wie ein Weltuntergang aus.“ Der Kadett atmete tief durch, biss herzhaft zu und verschwand mit geraderen Schultern zurück in den Korridor.

Vanessa griff nach der schweren Keramikkanne mit der frischen Milch. Sie verließ ihre Küche und trat durch die geöffnete Verbindungstür in das angrenzende Büro von Marcus Stern. Hier herrschte die sterile Ordnung des Direktors: Aktenstapel für die Uranus-Sitzung lagen präzise ausgerichtet auf dem dunklen Holztisch. In diesem Moment zerriss ein schriller Ton die Stille. Auf dem Wandterminal flackerten bernsteinfarbene Warnleuchten: „EMP-ALARM – STUFE GELB“.

Ein feines Knistern richtete ihre Nackenhaare auf. Ein bläulicher Funke zuckte über das Display von Marcus' Schreibttischlampe. Die Kanne entglitt ihren Fingern. Mit einem harten Schlag traf das Gefäß die Kante des Tisches. Weiße Flüssigkeit schoss über das Holz, tränkte die obersten Blätter der Sitzungsprotokolle und bildete einen glänzenden Acker zwischen den Berichten. Vanessa presste die Lippen zusammen, griff nach einem Stapel Servietten und drückte sie mit Kraft auf das Papier.

Marcus Stern trat aus dem hinteren Archivraum in das Büro, die Ärmel seines Hemdes akkurat hochgekrempelt. Er betrachtete das Rinnsal auf dem Tisch, dann griff er wortlos nach einem Reinigungstuch. Mit konzentrierten Bewegungen rieb er die Milchpfütze weg. „Die Protokolle brauchen wir trocken, Vanessa“, bemerkte er, während er ein besonders durchnässtes Blatt anhob. Sein Blick streifte den ihren, und ein fast unmerkliches Nicken lockerte seine Züge. Er half ihr, die beschädigten Dokumente auf dem Sideboard zum Trocknen auszubreiten.

Eine Stunde später glitt die Trennwand zum großen Sitzungssaal zur Seite. Über der Runde spannte sich die Glaskuppel, durch die der Marshimmel wie ein rostiges Laken auf die Versammelten herabstarrte. Historische Seekarten bedeckten die Wände und flankierten einen antiken Sextanten. Vanessa platzierte die Teekanne auf dem Tisch und ordnete die frisch geschnittenen Scheiben des Mohnstrudels an.

Sandra, die leitende Exobiologin, betrat den Raum und rückte ihre Brille zurecht. „Ihre Geschichten retten uns heute vermutlich den Verstand, Vanessa“, murmelte sie und griff nach einem Stück Gebäck. Vanessa nickte eifrig. „Das erinnert mich an die Geschichte von der Katze meines Nachbarn, Frau Professor. Das Tier hat bei Abwesenheit seines Besitzers regelmäßig die Postdrohnen attackiert. Einmal hat sie eine ganze Ladung Ersatzteile für die Sauerstofftanks im Garten vergraben. Wir dachten alle, die Logistik hätte uns vergessen, dabei lag das Heilmittel für unsere Atemluft unter einem Busch voller Marstulpen.“

Sandra lachte leise, was die Sorgenfalten auf ihrer Stirn glättete, noch bevor General Iljuschin in den Saal polterte. Der General füllte mit seiner massiven Gestalt jede Ecke aus. Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, dass die Löffel tanzten. „Wir reden hier von einer existenziellen Bedrohung, Marcus! Diese Riffe senden Signale, die unsere Schilde schwächen. Jedes Zögern kostet Menschenleben.“

Tatjana Sokolowa hob das silberne Glöckchen. Der helle Ton schnitt durch Iljuschins Gebrüll. Sie aktivierte das haptische Notfall-Terminal, dessen mechanische Tasten unter ihren Fingern rhythmisch klackten. „Wir halten uns an die Protokolle, General“, sagte sie kühl. Vanessa schob das Tablett mit dem dampfenden Strudel genau zwischen den General und die aufgebrachten Wissenschaftler. „Essen Sie erst einmal, Herr General. Mein Großvater sagte immer, dass man keine Kriege gewinnen kann, wenn der Magen noch mit dem Frühstück streitet.“

Iljuschin starrte sie kurz entgeistert an, dann griff er nach einer Scheibe. Ein erneutes Flackern der Leuchten kündigte die zweite Welle des EMP-Ereignisses an. Die Holo-Displays erloschen mit einem trockenen Knall. Dunkelheit flutete den Raum. Vanessa tastete sich zum Sideboard, um die mechanische Notlampe zu aktivieren. Unter ihren Fingern raschelte das Papier, das sie vorhin zum Trocknen dort ausgebreitet hatte.

Beim Griff nach der Kurbel der Lampe rutschten die Blätter auf den Boden. Ein kleiner Lichtstrahl ihrer Taschenlampe traf ein zerknittertes Transportlabel, das durch die Milchfeuchtigkeit am Rücken eines der Berichte geklebt hatte. Vanessa bückte sich und glättete das Papier. Der Schriftzug „Q-Industries“ prangte unter einer Lieferliste für Raketen und EMP-Verstärker. Zieladresse: „Sektor Iljuschin“.

Sie faltete das Label zusammen und schob es in ihre Schürze. Marcus Stern beobachtete sie aus dem Schatten heraus, sein Blick bohrte sich schweigend in ihre Augen. Vanessa trat zurück an den Tisch und reichte dem General die letzte Scheibe Mohnstrudel. „Wissen Sie, General, Verträge sind manchmal wie schlecht gerührter Teig. Man sieht die Klumpen erst, wenn es schon im Ofen steht.“

Iljuschin erstarrte. Das Stück Kuchen verharrte auf halbem Weg zu seinem Mund. In der Tiefe seiner Augen spiegelte sich das Wissen um seine eigene Korrumpierbarkeit wider. Er legte das Gebäck zurück, strich seine Uniform glatt und wandte den Blick ab. Seine aggressive Energie verpuffte.

Das mechanische Klacken von Tatjanas Terminal füllte die Stille, als die Abstimmung begann. Marcus Stern hob als Erster die Hand. Sogar Iljuschin hob schließlich schwerfällig den Arm. Die Wissenschaft behielt die Federführung. Als die Sitzung endete, kehrte Vanessa in ihr Sekretariat zurück. Sie schloss das belastende Label in den Tresor unter dem Sextanten. Das metallische Klicken der Tür klang wie ein Schlussstrich.

Draußen vor dem Fenster verblasste das Rot des Marshimmels zu einem tiefen Violett. Der Adventsabend senkte sich über die Station. Vanessa trat zurück in ihre Küche und enthüllte die Schüssel mit dem ruhenden Hefeteig. Sie begann, den Teig mit Honig und Nüssen zu füllen, während Sandra hereinkam. „Die Sonde sendet wieder“, flüsterte die Biologin. „Ein stabiler Rhythmus.“

Vanessa reichte ihr eine Tasse Tee. „Wissen Sie, Frau Professor, das ist wie mit der Milch heute Morgen. Zuerst gibt es eine Riesensauerei, aber am Ende ist der Tisch sauberer als zuvor.“ Sie beschriftete die letzten Adventspäckchen und entzündete eine einzelne Kerze. Die Sterne über dem Mars funkelten wie ausgestreuter Puderzucker. Vanessa löschte das Licht und verließ den Raum, den Duft von Honig und Zimt im Rücken.


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