Auf der "Thunderbolt", dem Flaggschiff einer Schwadron der interplanetaren Raumflotte
Liam zerrte die Jacke in Position, die Fingerspitzen suchten Halt an den robusten Nähten der Ärmel, so als gäbe der feste Sitz des Stoffes Stabilität für aufgewühlte Gedanken. Der Hangar der Thunderbolt umgab ihn, ein riesiger, kalter Bauch aus Stahl und Licht. Der erfolgreiche Abschluss dieses Trainingsfluges auf dem Flaggschiff bedeutete mehr als nur Flugstunden; er stellte die letzte praktische Prüfung der Mars-Akademie dar, das Tor zur vollwertigen Raumpilotenlizenz. Furcht mischte sich mit einer ungeduldigen Erwartung in der Magengrube. Das Ansehen, das ein Training auf einem Schiff der ersten Linie brachte, zementierte die Karriere.
Die Nervosität kribbelte an seinen Händen, und für einen Moment glitten die Gedanken zurück zur Mars-Akademie, wo kleine, beruhigende Festlichkeiten den Advent markierten. Die Kaserne wirkte in dieser Stunde wie ein bewusst gestaltetes Adventskalenderblatt. Er sah den Papierstern, der sich an die Ecke einer Werkzeugkiste klammerte. In der Kantine thronte der Truppen-Adventskalender, ein alter Brauch unter der Flotte; Pilotenklassen schenkten sich reihum Quadrate von synthetischer Schokolade. Liam roch den staubigen Geruch der Marsluft in seiner Erinnerung, ein Geruch von Heimat, der nun in der sterilen Luft des Hangars fehlte. Die kleinen Süßigkeiten dienten als große Ablenkung gegen die kalte Leere des Weltraums. Liam schob die Erinnerung an das Ritual und das leichte Ziehen der Nostalgie beiseite, die Fokussierung forderte die Konzentration.
Die Thunderbolt, ein stählerner Monolith, füllte den Hangar aus, eine Masse, deren schiere Größe die Wände schluckte. 800 Meter lange Segmente trugen die Last des Schiffs, Plasmadüsen glänzten im Licht der Hangars wie aufgerissene Adern. Fünfhundert Köpfe zählten zur Mannschaft, die in diesem Körper lebte und arbeitete. Liams Name stand heute auf einer Liste, die den Flügel zur Längsachse kommandierte. Kadetten und ältere Piloten fanden sich in Reihen, ihre Kittel teilten die gleiche Uniformität, ein kontrolliertes Lächeln glättete die Gesichter.
Er trat in die Pilotenkabine des ihm zugeteilten Übungsjägers. Der Geruch von kaltem Metall und gereinigter Luft zog in seine Lungen, die Gurte drückten über die Schultern, als wollten sie Verantwortung lehren. Die neuralen Elektroden warteten. Sie fühlten sich kalt an, versprachen die direkte Verbindung zur Maschine, die die Sinne des Piloten um das tausendfache verlängerte. Er ließ die Hand über das Steuer gleiten.
Draußen im Kontrollraum tickte Technik wie ein riesiges, unter Spannung stehendes Orchester: große, 3D-projektierende Bildschirme zeigten die Formation an, anpassbare Touchscreens glühten in Erwartung. Das Surren der Vorbereitung gaukelte Routine vor, eine geordnete Abfolge von Tests, die die Kadetten durchlaufen sollten.
„Hey, Liam, denk dran: Ich zähle auf dich, wenn es um das Bestehen geht. Schließlich schulde ich dir noch einen Ersatz für den Schokowürfel, den du mir letzte Woche gestohlen hast.“
Die Stimme kam von seiner linken Seite. Kollege „Rudolf“ – Rufzeichen wegen seiner Vorliebe für rotes Licht an den Navigationsanzeigen. Ein spitzes Grinsen durchzog sein Gesicht, eine Mischung aus freundschaftlicher Rivalität und Spott. Liam nickte ihm zu. Seine Antwort fand er in der präzisen Ausführung seiner Checks, kein Wort verschwendete er an den Scherz.
Der Funkkanal knackte. Eine Welle zog durch das Deck, Gesichter verdichteten sich in der Sekunde. Kommandantin Novak, die Stimme scharf und flach.
„Alarm über Bandbreite Blau. Keine Übung. Wiederhole: Keine Übung.“
Die Befehle schrumpften zu Vibrationen im Brustkorb. Ein Fremdobjekt drang in den Randbereich der Galaxis. Die Thunderbolt übernahm die Führung der Schwadron.
Die Hände arbeiteten, als läge in jedem Griff die Antwort auf die Frage, die Furcht in ihm aufwarf: Schafft der Kadett die Prüfung? Die feste Linie zwischen Impuls und Reflex hielt die Kontrolle. Die Nervosität wich. Die Thunderbolt schob die Schwadron in Formation, die Plasmadüsen sangen ihr tiefes Lied. Die Ringe zur künstlichen Schwerkraft rotierten, das tiefe Grollen des Rumpfes drückte gegen Liams Füße.
Die Schilde zogen sich wie eine zweite Haut über Rumpf und Panele, ihre Energieaufnahme verursachte einen leichten, metallischen Geruch in der Kabine. KI-Assistenten fütterten Taktik mit Wahrscheinlichkeiten, Sensoren speisten die taktischen Bildschirme. Rottöne der Warnung flackerten, wichen dann einem gelblich beruhigenden Grün, je nachdem, welche Einschätzung die Algorithmen lieferten.
Zum Rand der Galaxis hin herrschten andere Regeln. Signale zerrissen in den Empfängern. Die KI meldete Anomalien in Form von Datenclustern, nicht als klare Geschichten. Das Navigationssystem zeigte ein einzelnes Objekt, das sich durch die Kartografie zwängte wie ein Fremdkörper: unregelmäßige Signatur, biometallische Schichten, die Schwankungen in elektromagnetischer Frequenz verursachten. Keine bekannte Klassifikation passte. Das Risiko, das von dem Objekt ausging, blieb unbekannt, damit potenziell maximal. Waffenstellungen schalteten in Bereitschaft; Partikelkanonen rieben sich in ihren Schienen, Raketenwerfer füllten Leer.
Auf der Brücke surrte die Vorbereitung. Doch ein Ton, nicht metallisch, eher organisch, kratzte am Bewusstsein der Piloten. Die KI übersetzte diesen Ton in ein Muster, das niemand in der Crew zuvor als gefährlich oder freundlich empfunden hatte, nur als unberechenbar.
Novaks Befehl kam: Eine Aufklärungseinheit, bemannte Jäger mit reduzierter Schutzkonfiguration, sollte das Objekt aus nächster Nähe untersuchen. Manuelle Piloten erhielten Vorrang. Automatischen Systemen drohte der Ausschluss durch die Strahlungslagen; menschliche Reflexe zählten jetzt mehr als reine Kalkulation.
Liam bekam einen Slot. Seine Berufung in die erste Linie geschah impulsiv. Ein älterer Pilot im Nebensitz zog die Schultern hoch, ein Zeichen, das Liam als stillen Kommentar auf das Unentschieden zwischen Können und Glück interpretierte. Rudolf grinste ihm spitz zu, bevor er seine eigene Kabine abdichtete. Die Sensoren an der Front des Objekts spuckten ein rotes Flackern aus, das an eine Nase erinnerte. Liam nahm das Rufzeichen „Rudolf“ auf, eine Mischung aus Stolz und kalter Unruhe glänzte in seinem Blick.
Der Ritt zum Objekt schlug durch die Leere, die vibrierende Hülle des Jägers sang, als drücke sie sich durch ein zähes Medium. Sterne schrumpften zu Punkten, der Raum spiegelte eine kalte, gleichgültige Leere. Die Jäger pressten sich in Formation. Dann setzte ein Signal ein, das die Geräte verrückt werden ließ; Anzeigen zuckten, Schilde flackerten, Kommunikationskanäle schwankten.
Ein Puls setzte ein, rhythmisch, gleichmäßig, als klickte ein gigantisches Herz hinter dicken, biometallischen Schichten. Die KI klassifizierte den Puls als Störung, lieferte jedoch sofort ein Muster, das einer rudimentären Sprache ähnelte. Übersetzer lieferten nur Nullwerte. Liams Sinne empfingen nur das Vibrieren unter der Haut, ein Vorspann, der Wörter wie „Fremd“ oder „Bedrohung“ nicht brauchte, um die Wirkung zu entfalten.
In Liams Helm bremste das Neuralnetz den Zugriff. Automatische Stabilisierung sprang zurück, verlangte manuelle Steuerung. Die kalte Unruhe wuchs. Die Hände suchten die Steuerung, der Jäger zog sich aus der Formation, bohrte seinen Weg in die Nähe des Objekts. Die Oberflächen zeigten eine Musterung wie vernarbtes Holz, im Plasma konserviert: segmentierte Ringe, die miteinander atmeten. Ein kleiner Auswuchs drehte sich, fast spielerisch, als taste das Objekt nach Bewegung in der Leere. Liams Sensorsonde spannte ein Netz aus, die Rückmeldung blieb fragmentiert: Energetische Umarmung, biotronische Resonanz, Frequenzen, die den Helm bis zum Äußersten vibrieren ließen.
Ein Funkkontakt wurde möglich – kurz, roh, mit Aussetzern. Im Kanal erschien ein Ton, nicht Sprache, eher eine Serie von Schwingungen. Liam ließ die Finger über das Steuer trommeln. Die Gewohnheit aus langen Trainingsstunden forderte eine rhythmische Ordnung. Er suchte Halt, die Gedanken glitten zurück in die Kaserne auf dem Mars. Das Ritual mit der kleinen Glocke an der Fensterbank, ein Geräusch, das nach Metall und Wärme roch, ein unbewusster Takt, den die Kinder am Mars aufnahmen, wenn die Sonne ihre Bahnen zog.
Die Finger klopften eine Sequenz, die die Neuralfelder des Jägers modifizierte. Eine Erinnerung erschien, ohne Absicht, die Glocke auf dem Mars, deren Klang einen simplen, klaren Takt besaß. Liams Finger sendeten den Takt in die Schiffssysteme, in die Lautsprecher, in die Frequenzmodulatoren – nicht laut, nur als Muster. Die KI zuckte, erschien irritiert, musste neu kalibrieren, weil menschliches Timing in jene Module floss, die die Pilotenstimme nicht benötigten. Die gemischten Gefühle von Freude über die Kontrolle und der kalten Unruhe vor dem Unbekannten maximierten die Konzentration auf den Takt.
Dieser Takt initiierte einen Dialog. Das Objekt reagierte, die abrupten Abstände schrumpften, Glieder glitten langsamer. Die rote Nase verharrte, als suchte sie Nähe, nicht Zerreißung. Die Thunderbolt drehte ihren Rumpf, als wollte ein Riese lauschen. Auf der Brücke stieg die Spannung, ein ungläubiges Flüstern durchzog die Ränge, als der Taktiker einen überraschten Befehl ausrief. Liam schwieg, der Atem lief flach, das Herz behielt seinen eigenen Rhythmus bei, doch das Timing der Finger blieb fest. Die Maschine unter ihm folgte dem Takt, modulierte den Ausgang, strahlte ihn in die Magnetosphäre des Objekts.
Langsam zog das Fremde seine Signale zurück, als senkte es eine Hand ab. Sensoren lieferten Bilder von inneren Hohlräumen, in denen organische Strukturen Pulsation zeigten, nicht aggressiv, nur suchend. Algorithmen lieferten eine Hypothese: Ein bio-mechanisches Wanderwesen, angezogen von dichtem Fusionslicht als Energiequelle. Aufprall drohte, weil das Objekt Energie sammelte, ohne die Koordination mit anliegenden Schiffen zu beherrschen. Eine Fehlinterpretation der Umgebung bildete das Risiko.
Liam ließ den Jäger auf Abstand gleiten, die Finger beruhigten sich, die Neuralleitungen tauten wieder auf. Novak, die Kommandantin, nickte kurz, eine Geste, die Anerkennung zollte. Sie sprach einen Satz in den Kanal: „Timing wiegt manchmal mehr als Taktik, Kadett.“
Die Landung erfolgte präzise. Die Hände zitterten, nicht vor Müdigkeit, sondern vor einer neuen Ahnung: Wirklichkeit formte sich nicht allein durch Feuerkraft; Timing, Empathie, manchmal eine kleine Tradition reichten. Rudolf, der Kollege, reichte Liam im Vorübergehen eine Schokolade aus dem Adventskalender. Die Geste wirkte schlicht, wie ein Siegel auf einen neuen Waffenstillstand.
Die Montage der Beacons folgte sofort. Mechanik zog sich wie eine filigrane Operation um die Hülle des Objekts; selbstreparierende bioorganische Hüllen fügten sich, als hielte eine Hand die andere. Eine letzte Klemme schloss sich, und die Thunderbolt leitete konkurrierende Energieströme um. Das Fremde fand eine neue Bahn, stabiler, weniger hungrig nach unmittelbarer Fusionskraft. Signaturen glitten in normale Bereiche, Interferenzen schrumpften. Die schwarze Linie der Angst wich, an deren Stelle trat eine Erleichterung, warm und ruhig, eine Saat für das Vertrauen.
Das Flaggschiff öffnete seine Küche wie zu einem Fest. Hydroponische Gärten lieferten Kräuter. Liam spürte den sensorischen Unterschied, als er vom kalten, metallischen Jägerdeck in die warme Küche trat. Der Geruch eines Gerichts aus Marswurzel und Algen stieg auf. Es roch nicht nach Weihnachten der alten Welt, doch es roch nach Wärme, die der sterilen Kälte der Kaserne widerstand.
Die Crew versammelte sich. Novak stand kurz vor der Menge, keine große Rede, nur ein weiteres, ruhiges Nicken. Ein Brauch entstand: Jeder steckte eine kleine Süßigkeit in die Hand eines anderen, ein Roulett der Dankbarkeit. Liam gab seine Schokolade weiter, aber die Geste drehte sich zurück: Jemand legte ihm eine kleine, handgezeichnete Karte auf den Teller, darauf ein schlichtes Bild der Thunderbolt mit blinkender, roter Nase. Kein Orden, doch ein Andenken.
Die Nacht schloss sich über das Flaggschiff, das innen warm blieb. Liam legte den Helm ab, die Finger kribbelten noch vom Trommeln. Die Karte klemmte er zwischen das Fenster und die künstliche Außenansicht, die ein leises, fremdes Sternenband zeigte. Die Thunderbolt drehte langsam durch den Orbit, Schilde glätteten sich. Das Objekt am Rand schwieg in einer neuen, respektvollen Ruhe.
Am nächsten Morgen klingelten die neuralen Checkpoints in einer sanfteren Frequenz. Leonard, der alte Instrukteur, schob eine Tasse Kaffee durch die Luke, dessen Dampf Kräutergeschmack mit sich brachte. Keine großen Worte, nur ein kurzes Klopfen, das Verschlusssignal. Liam schnappte die Tasse. Die Flüssigkeit hinterließ keine direkten Lobeshymnen, doch eine Wärme, die sich von innen ausbreitete.
Auf der Brücke notierte die KI die Empfehlung: Menschliche Fähigkeiten zeigten Adaptivität, die die Maschinen ergänzten. Ingenieursgruppen lachten über die Ironie des erfolgreichen Adventsrhythmus, und das Flaggschiff schnurrte weiter.
Das Adventsgefühl behielt seine Unwichtigkeit gegenüber der Schwere der Aufgabe. Doch es erschien in kleinen Dingen: ein Papierstern, die handgezeichnete Karte, das Stück Schokolade. Liam ließ die Hand über die Karte gleiten, die Thunderbolt mit der kleinen roten Nase. Die Erinnerung an die Glocke erschien nicht als bloßer Rückblick, sondern als ein erworbenes Werkzeug. Die Galaxis blieb riesig und fremd, doch an einer kleinen Kante hatte ein Jägerpilot gezeigt, dass Einfühlung gelegentlich mehr Last trug als Schilde. Die Wärme des Kaffees glättete die Anspannung der Nacht. Ein leises Lächeln legte sich in die Mundwinkel.
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