Merkur:Simora, die Stadt unter der Oberfläche
Karminrote Adern zogen über Simoras Haut. Das Flackern schmeckte nach Unzufriedenheit, metallisch und bitter auf der Zunge. Rel’van zog die Schultern hoch, als die Kristallwände dichter gegen ihn pressten. Die Stadt schob sich zu einer Mauer zusammen, die seine Ungeduld mit höhnischem Glanz beantwortete.
Adventslichter glommen in den Kristallgängen. Quecksilberdampf spannte filigrane Lampions wie leuchtende Fingerknochen über die Tunneldecken. Andere Händler nannten es festliche Stimmung. Rel’van sah nur gezuckerte Beute. Ein Feld, das Fremde betreten durften, während er an der Tür stehenblieb und den Eintrittspreis nicht erhöhen durfte.
Menschen fielen ihm auf wie Splitter in einer perfekt geschichteten Ladung: scharf, fremd und dreckig. Adeline Stellar und Aminah Khalil trugen Uniformen, die eine unangenehme, organische Wärme ausdünsteten. Rel’van schritt an ihnen vorbei, ohne den Blick zu senken. Die jungen Kadettinnen liefen durch den Bazar; ihre Schritte fütterten die Ratsdebatten mit empörtem Flüstern. Jede ihrer Bewegungen stach Rel’van ins Auge. Abweichungen vom Plan. Die Argumente gegen sie lagen in seinem Kopf bereit, genäht mit den spitzen Nadeln der Rhetorik. Verbote wären sauberer gewesen. Aber die Ratsmehrheit schob seine Forderung beiseite. Handelsmacht wog schwerer als Vorsicht.
Händler warfen ihm Blicke zu. Augen, die Kalkulationen vor sich hertrugen. Ein Kiefer knackte respektvoll beim Klang seines Namens. Ein anderer Mund formte nur ein abgeschnittenes Lächeln.
Zor’nak tauchte am Ende eines Standes auf. Der Handelskonkurrent verbreitete eine Aura wie ein unangenehmer Geruch, den man ignorierte, aber dennoch roch. Zor’nak stand da mit der Ruhe eines Mannes, der Vorsicht zu Gold gemacht hatte. Hitze rann aus dem Rivalen. Rel’van genoss den Geschmack der Konkurrenz, solange sie sein eigenes Reich verschonte.
Er bog in die Windungen des Kommunikationszentrums ein. Dort wurzelte Nel’ra. Sie saß inmitten ihrer Konsolen, ein Knoten aus gläsernen Drähten und leuchtenden Notizen. Ihr Tun widerte ihn an. Dieses emotionale Weben. Doch ihre Aufzeichnungen dienten ihm oft als Messer an der Kehle der Gegner — Messer, deren Griff er fest mit beiden Händen umklammerte.
Die Adventszeit brachte Handel. Menschenmusik. Eine Zeremonie: „Licht über Grenzen“. Rel’van hatte die Idee in den Ratsunterlagen mit scharfen Worten zerlegt, Zahlen an den Rand gekritzelt, Szenarien entworfen, die das Wort „Diebstahl“ schrien. Die Ratsleute spazierten trotzdem vorsichtig zwischen Gewinn und Risiko.
Er trat vor Nel’ras Station. Nicht als Ratsmitglied. Als Stimme, die Profit roch. Nel’ra arbeitete an einer Übersetzungsbrücke. Ihre Finger tanzten über Konsolen, münzten menschliche Frequenzen in Merkurianische Harmonien um. Brückenbauer störten das Geschäft. Brücken luden unerwünschte Besucher ein.
Ein Plan lag fertig in Rel’vans Kopf. Eine Umleitung. Keine Zerstörung, nur eine Störung. Harmlos für das System, ein Skandal für die öffentlichen Ohren. Übersetzungen, die Worte verdrehten. Gesänge, die Menschen in schnappende Masken verwandelten. Datenpakete, die wie Beute aussahen. Eine finanzielle Einbuße bei Nel’ra bedeutete einen Triumph seiner Argumente.
Die Komponente trug sein unsichtbares Siegel: ein feiner Cousin von Quecksilberkondensatoren, den er durch Händlernetzwerke geschmuggelt hatte. Rel’van spürte das kühle Metall in seiner Handfläche. Er ließ das Gerät unbemerkt in eine der offenen Resonanzkammern gleiten, die Nel’ra zur Echtzeit-Zerlegung menschlicher Sprache verwendete. Ein kurzes Vergnügen zuckte durch seine Mundwinkel. Das Gerät wirkte neben seinen massiven Warenlagern wie ein Spielzeug. Ein gezielter Druck genügte zum Zerbrechen. Ein kleiner Riss im Glas reichte aus.
Adventstage füllten die Tunnel mit Lärm. Menschenkultur erreichte Simora auf dem versprochenen Hügel der Diplomatie. Adeline und Aminah wanderten am Tunnelende entlang. Die Kanten ihrer Schritte gaben fremde Rhythmen frei, ein Staccato gegen das Fließen des Quecksilbers. Rel’vans Blicke wurden zu Messern. Jede Geste der Kadettinnen diente ihm als Beweis, niemals als Begegnung.
Simora antwortete mit einem fahlen Grün. Spott für seine Ungeduld.
Dann trat die Störung in Aktion. Doch sie folgte keinem kalkulierten Pfad. Sie entwickelte eine Unberechenbarkeit, rieselte wie ätzender Schnee durch das Blechpanzerwerk der Realität.
Die Resonanzkammer riss ein Geräusch los. Kristalle zitterten. Schallwellen bohrten sich wie Lanzen in die nahen Quecksilberseen. Die Oberfläche der Seen bildete kleine Monde, die hektisch an die Haut der Stadt klopften. Wärme schoss wie eine gehetzte Bestie durch Rohre, durch Dämme, durch die Speicherbänke. Rel’van blickte auf das Thermometer an der Wand seines Sektors. Die Anzeige kletterte.
Händler rissen an Schiebern. Hände bewegten sich wie panische Flügel. Nel’ra erschien im Chaos. Ihr Gesicht zeigte keine Verachtung, sondern Konzentration — ein Drahtseil, gespannt gegen den Sturz.
Gefahr schlug ein. Weder Moral noch Politik zählten in diesem Moment. Die Ökonomie blutete. Rel’vans Lager füllten sich mit Waren, deren Wert durch Hitze wie von hungrigen Motten zerfressen wurde. Edelgase expandierten. Kristalline Speicherchips verloren ihre Kohärenz. Panik knurrte in seinem Magen.
Simora wechselte die Farbe. Giftgrün stach scharf aus den Wänden. Die Stadt zeigte Zähne. An einigen Stellen beulte sich die Wand nach außen. Ein altes, wildes Inneres drängte heraus.
Das Geschäft schwand. Rel’vans Ärger verwandelte sich in ein Instrument: Handeln.
Er mied den Weg zum Rat. Er griff zum Schlüsselbund seines Handelshauses und riss die Zugangspanels zu den Hauptkühlleitungen auf. Nel’ra wand sich durch Datenleitungen. Ahnung von Ton, ja. Ahnung von Warenlagerung, nein. Rel’van schnitt Kühlkanäle frei. Er brüllte Befehle, ohne zu fragen. Seine Worte fielen scharf, ließen keinen Raum für Gegenfragen. Hände folgten ihm, weil sein Gewicht in der Stadt zählte wie eine Rüstung.
Er lenkte Quecksilberdampf durch manuelle Umleitungen, zog an Ventilen, die seit Generationen niemand berührt hatte. Die Temperatur fiel am Rande seines Sektors, stückweise, zäh wie ein Kredit, der sich nur langsam bezahlte.
Die menschlichen Kadetten hielten Abstand, blieben jedoch präsenter als zulässig. Adeline trat vor. Sie streckte eine Hand aus. Ein kleines Paket glomm darin. Stückchen von Menschlichkeit. Vielleicht ein Geschenk. Vielleicht eine Waffe der Diplomatie. Rel’van nahm das Paket, ohne die Geste zu würdigen. Seine Hände öffneten die Verpackung.
Ein Duft traf seine Nase wie ein Versprechen. Butter. Zucker. Vanille. Ein Gebäckstück, zu süß, um zuverlässig zu wirken, setzte sich auf seine Zunge. Rel’van biss hinein, weil Ablehnung Zeit kostete. Seine Zähne knirschten, noch bevor der Geschmack die Zunge vollständig erreichte. Ein kleiner, unberechenbarer Moment zuckte durch sein Nervensystem.
Die Wärme in seinem Körper wich um ein winziges Maß der Überraschung. Die Stadt registrierte das. Amber flackerte für eine Sekunde in den Wänden auf. Die Wände gaben etwas Ruhe preis. Nel’ra nutzte diese Sekunde der Dämpfung.
Mit einer feinen Anpassung der algorithmischen Phase band sie die wilden Resonanzen wieder an die Kristallstruktur. Menschenstimmen aus den Lautsprechern fügten sich zu harmonischen Linien. Keine Bedrohung mehr. Eine Schwingung, die die Stadt kannte und duldete.
Rel’van missachtete jeden Dank, der in der Luft lag. Seine Bewegungen verrieten nur Zweck. Er erkannte im Klang der wiederhergestellten Frequenz ein physikalisches Muster aus seinen Handelsbüchern: Überlagerung, Dämpfung, Phasenverschiebung. Er zog eine alte Handelsregel aus der Schublade seines Verstandes: Nutze die Welle, statt gegen sie zu schwimmen.
Nel’ra befolgte seine harsche Anweisung zur Kühlung. Skeptisch. Schnell. Die Kadettinnen hielten den Chor aufrecht. Die Stadt atmete langsam aus. Die Krise löste sich in Hälften auf. Kühlsysteme stabilisierten den Sektor. Die Quecksilberseen glitten beruhigt in ihre Betten zurück.
Händler sammelten sich, beweinten Verluste. Rel’van spürte, wie die Spannung in seinem Hals nachließ. Seine Wangen blieben hart. Die Stadt streifte eine weichere Farbe über, ein warmes, funkelndes Bernsteingelb. Ein Zugeständnis. Nel’ra verstaute ihre Instrumente. Ihre Augen wichen kaum von den Anzeigen ab. Sie atmete in einem Rhythmus, der mit seiner Rechnung zusammenpasste. Ihr emotionales Weben widerte ihn immer noch an.
Die Rechnung buchte sich in seinem Kopf bereits fest: Dienstleistung verkauft. Image gewonnen. Zugeständnisse eingefordert.
Politik folgte den Nachwehen. Zor’nak formte ein ernstes Gesicht und wandte sich an einen Kreis, in dem Stimmen wie Messer kreisten. Rel’van ließ die Worte anderer durch seine Ohren laufen wie Ware bei der Inspektion. Mängel suchen. Die Menschen hatten geholfen, ohne Einladung. Die Kadetten hatten nicht nur Zucker gebracht, sondern Rhythmus.
Rel’van stellte das Ereignis vor dem Rat als Beweis dar. „Kontakte bringen Risiko“, erklärte er mit fester Stimme, „aber Risiken müssen sich rentieren.“ Er wirkte wie ein Mann, der aus einem Sturm ein handelbares Gut machte. Er forderte Kontrollen, verschärfte Protokolle, Gebühren für jede Frequenznutzung. Jede Forderung trug einen Gewinn für sein Haus. Die Ratsmitglieder nickten. Kontrolle gefiel ihnen fast immer.
Nel’ra legte Zahlen auf den Tisch. Technische Details, die Rel’van innerlich zum zweiten Mal an diesem Tag zählte. Ohne ihre Daten trugen seine Maßnahmen nur Kosmetik. Ohne ihre Brücke raste die Resonanz weiter. Er sparte sich ein Lob. Sein Mund führte nur Steuersätze und Konzessionen auf. Trotzdem unterzog er Nel’ras Arbeit einem scherenschnittartigen Tadel, der das konservative Publikum befriedigte, ohne ihre Position vollständig zu zerstören. Nel’ra hörte zu. Ihr Gesicht zeigte keinen Aufruhr. Rel’van sammelte die Stücke seines politischen Triumphs wie Glasperlen im Beutel.
Humor kroch in die Ereignisse, subtil, unerwartet. Aminah, zu jung für die tiefe Diplomatie, überreichte ihm ein handgemachtes Ornament. Ein Stück Kristall, mit einer winzigen Quecksilberblase eingeschlossen. Rel’van zögerte. Seine Finger schwebten über dem Geschenk. Dann nahm er es. Er setzte es an einen Schnurfaden und befestigte es an seinem Marktstand. Ein Trophäenzeichen. Ein Beweis seiner Überlegenheit über die Situation.
Leises Lachen umgab ihn. Jemand murmelte das Wort „Advent“. Rel’van sog die Szene in sich auf wie eine Ware, die seinen Augen schmeichelte. Ein Händler nannte es „eine weiche List“. Rel’van mochte den Ausdruck nicht, aber er mochte die Wirkung.
Der Rat stimmte über eine restriktive Vereinbarung ab. Strenge Bedingungen für Landungen. Überwachung aller Kontakte. Geteilte Ressourcen unter Aufsicht. Rel’van verzeichnete das Ergebnis. Vor- und Nachteile rechneten sich: Handel öffnete Tore, Kontrolle legte Schlösser ins Schloss. Die Schlüssel lagen in seiner Tasche. Er schlug vor, dass sein Handelshaus die Überwachungskommission mit materiellen Mitteln unterstütze — gegen angemessene Vergütung. Seine Stimme trug Kalkül. Kalkül brachte Einfluss ohne formale Verpflichtung. Der Rat genehmigte seine Rolle als externer Berater.
Kürzel landeten in seinen Gedanken wie Münzen. Sein Zorn auf die Fremden blieb. Er entfernte ihn nicht. Ein dünner Firnis von Zufriedenheit entstand, Material für spätere Anekdoten.
Abends legte Simora Lichter in die Gänge. Zeichen von Leben, nicht von Gefallen. Rel’van lehnte an der Kante, die sein Reich überblickte. Unten bewegten Händler Waren. Kadetten sprachen in einer Sprache, die seine Wut reizte. Nel’ra arbeitete weiter, mit verachtenswerter, nötiger Präzision.
Die Ornamentblase an seinem Stand glitzerte im Licht der Quecksilberdampflampen. Er legte die Hand flach darüber. Ein Test der Festigkeit des Schildes. Advent blieb für ihn ein Konzept aus Zahlen. Tage, verwoben in Rechenschaften.
Die Nacht wurde tiefer. Ein Klang trat auf. Ein Summen zwischen Kristall und Quecksilber. Stimmen stimmten eine Melodie an. Roh. Menschlich. Rel’van merkte, wie die Stadt die Töne integrierte. Sie leitete sie in ihren Adern weiter wie Nährstoffe. Die Resonanz erreichte Speicher, die zuvor gezittert hatten. Ein Händler lächelte. Das Lächeln brachte ein sattes Gefühl in Rel’vans Magen.
Er gestattete der Stadt, eine sanfte Farbe auszuspucken: warmes Umbra. Anerkennung. Sein Herz blieb verschlossen wie eine gut bewachte Truhe. Der Verschluss tat seinen Dienst. Die Welt blieb gefährlich, aber profitabel.
Am nächsten Morgen rief die Ratschronik seinen Namen als „Sicherungsunterstützung“ aus. Er las den Ausdruck wie eine quittierte Rechnung. Nel’ra erhielt eine Auszeichnung für technologische Rettung. Sie nahm sie mit ruhiger Miene. Die Kadetten verließen Simora mit Vorschriften und einem misstrauischen Versprechen auf Rückkehr.
Rel’van schrieb in seine Bücher: „Kontakte kontrollieren. Nutzen maximieren.“ Kein Raunen änderte die Formel. Die Adventszeit neigte sich dem Ende zu, lieferte Anekdoten für die Tavernen.
Eine zweite, kleinere Blase steckte in der Tasche seines Gewandes. Ein Zeichen eines Menschen. Das Bild der Stadt drehte sich in seinem Kopf: Karminrand der Wut, Giftgrün der Panik, Bernsteinschimmer des Gewinns. Er vergaß nichts. Er vergab nichts. Doch die Ornamentblase rastete in seinem Besitz ein wie ein kleines, nerviges Geschenk. Erinnerung an einen Tag des verhinderten Verlusts und des Gewinns.
Simora behielt ihre Eigenheiten. Rel’van behielt seine. Händler zählten Münzen. Protokolle entstanden. Wenn die Stadt ihre Wände wechselte, reagierte sie auf einen Mann, der mit eigener Stimme handelte.
Rel’van trat zurück in seinen Stand. Er arrangierte Waren wie eine Verteidigungsstrategie. Advent blieb eine Kette zum Abwägen: ein Ring für Kontrolle, einer für Gewinn. Er zog an den Ringen. Die Stadt gab nach, ohne sich zu beugen.
Abends, beim Spiel des Lichts zwischen Kristall und Quecksilber, zwickte Rel’van die Ornamentblase zwischen zwei Fingern. Sein Griff zeigte keine Zärtlichkeit. Er nahm die Blase mit in sein Kaufhaus. Er legte sie neben Bücher über Handelsrouten und Formeln für Dämpfungssysteme. Dann zog er die Ladentür zu. Nicht aus Zorn, sondern aus jener Wirtschaftssicht, die ihn regierte.
Ein stilles Rechnen begann. Rel’van lächelte nicht. Sein Lächeln ersetzte er durch Pläne. Der Handel blieb – und mit ihm die Möglichkeit, das Fremde zu kontrollieren. Simora leuchtete. Lichter fielen wie Münzen auf einen Tisch, den er am liebsten monopolisierte. Die Stadt schnurrte leise, zufrieden mit einer Nacht, die nicht zerbrach. Rel’van schloss die Augen einen Wimpernschlag lang. Seine Wimpern ruhten auf Kalkülen.
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